Von den Germanen bis zu den Varlern

Ein Spaziergang durch die Varler Geschichte

von Reinhard Stevener

Wann wurde Varl erstmalig erwähnt?

Zwei namhafte Historiker, die sich mit unserer Heimatgeschichte wissenschaftlich auseinander gesetzt haben, führen das Jahr 1270 als offizielles Gründungsjahr für den Ort Varl an. Bei diesen Historikern handelt es sich zum einen um den Rechnungsrat Wilhelm Bergmann aus Minden, der gebürtig aus Rahden stammte; und zum anderen um Prof. Dr. Jellinghaus aus Osnabrück, der wohl als "1. Autorität" angesehen werden kann, wenn es darum geht, wann welche Städte und Gemeinden im Minden-Ravensberger Land entstanden sind und vor allen Dingen auch, was die einzelnen Ortsnamen bedeuten.

Was bedeutet der Ortsname Varl?

Nach Prof. Jellinghaus handelt es sich bei der Bezeichnung Varl um eine Kurzfassung von "Varloh", wobei es sich bei der ersten Silbe "Var" um die Beschreibung von Grenze, Furt oder Grenzland handelt. Die zweite Silbe "loh" bedeutet soviel wie Busch, lichter Eichenbestand. Man könnte Varl also auf hochdeutsch auch mit "Grenzwald" übersetzen.

Hierfür gibt es auch eine geschichtliche Begründung! Tatsächlich ist der Ort Varl mit seiner weiten Ausdehnung auch stets Grenzgebiet gewesen. Vermutlich ist hier schon in alt-germanischer Zeit eine Stammesgrenze und zur Zeit Karls des Großen die Grenze des Bistums Minden gegen die Freigrafschaft Stemwede - evtl. auch eine Gaugrenze - verlaufen. Im Jahre 1254 erwarb der Mindener Bischof Wedekind die Freigrafschaft Stemwede mit finanzieller Unterstützung der Freien in Stemwede, die den Anschluß an Minden suchten.

Gibt es Zeugen vorzeitlicher Ansiedlungen?

Die erste schriftliche Erwähnung eines Ortes muß nicht immer gleich als ein Beweis über die erste tatsächliche Besiedlung oder Ansiedlung gewertet werden. Auch in Varl hat es lange vor 1270 Ansiedlungen von Menschen gegeben. Hierfür gibt es folgende Zeitzeugen:

Steingrab auf dem Steinkämper Feld

Dieses riesige Hünengrab ist leider gesprengt worden. Die Findlinge haben noch bis 1870 auf dem Steinkämper Feld (benannt nach den umliegenden Höfen mit dem Namen Steinkamp, der in Varl weit verbreitet ist) gelegen, sind nach der Sprengung aber als Fundament und zum Aufbocken der "Steinkämper Mühle" (heute Anwesen Weßler) verwand worden. Die restlichen Steine sind in den Fundamenten anderer Gebäude verschwunden. Einige Findlinge liegen noch auf dem Hofgelände von Steinkamp-Warner 3 (heute Warner, Varler Straße 38).

Die "Hohen Steine"

Ein anderes Hünengrab lag im Grenzbereich von Varl und Kleinendorf, aus heutiger Sicht zwischen der "Hohensteiner Mühle" und der ehem. Gaststätte Pollheide-Assling nördlich der Varler Str. (L 557). Die "Hohe Steine" waren mannshohe aufeinander getürmte Findlinge. Die Mittelgruppe bestand aus drei mächtigen, senkrecht aufgestellten Steinblöcken. Über ihnen lag der Deckstein, der auf seiner oberen Seite 18 Fuß lang gewesen sein soll. Um die Hauptgruppe waren etwa 20 kleinere Findlinge verteilt, die ebenfalls stattliche Größen gehabt haben müssen, wenn man die heute übrig gebliebenen fünf Findlinge betrachtet, die heute neben dem altehrwürdigen Varler Glockenstuhl vor der Friedhofskapelle aufgestellt worden sind. Ursprünglich lagen die restlichen Steine auf dem alten Varler Schulhof, von wo sie im Jahre 1989 zur jetzigen Ruhestätte umtransportiert wurden.

Unweit des vorbeschriebenen Hünengrabes lag in damaliger Vorzeit der "Galgenkamp", eine höhergelegene Richtstätte (Hochgericht), die mit den "Hohen Steinen" in Verbindung zu sehen ist. Es handelte sich hierbei also um eine alte heidnische Kultstätte aus der germanischen Zeit. Solche Kult- und Richtstätten lagen in der Regel auf einer runden, natürlichen oder künstlich hergestellten Bodenerhebung. Man kann somit annehmen, daß hier eine germanische Gerichtsstätte (Thing) gewesen ist, wo unsere Vorfahren Recht sprachen und auch die Urteile vollstreckten.

Überreste von Pfahlbauten

Aber auch in jüngster Zeit hat man noch Beweise von altgermanischen Ansiedlungen bei uns in Varl angetroffen. 1992 wurde die MIDAL-Erdgasleitung gebaut. Die Versorgungstrasse verlief u.a. auch durch das Steinkämper Feld, wobei zum großen Erstaunen der Fachleute Überreste von germanischen Pfahlbauten aus der vorrömischen Eisenzeit - das war so um 300 v. Chr. - zum Vorschein kamen.

Wann war denn nun eigentlich die tatsächliche Varler Ortsgründung?

Die tatsächliche Ortsgründung kann nur vage vermutet werden. Sicher ist, daß sich auf den höher gelegenen Landstreifen der Heide- und Moorlandschaft zuerst einzelne Höfe angesiedelt haben. Es kamen immer mehr dazu, bis Gehöftegruppen (z.B. am heutigen Stattdamm) entstanden, die allerdings für sich genommen wieder ziemlich weit auseinander lagen. Der Varler Ortskern, wie wir ihn heute kennen, ist erst viel später im Schutze der Rahdener Burg entstanden.

Erste detaillierte Aussagen über die Entstehung und Besiedlung des Rahdener Landes gibt uns die Regierungsepoche von "Karl dem Großen". Nach dem endgültigen Sieg über die Sachsen mit der Taufe ihres großen Herzogs Widukind im Jahre 785 wurde parallel mit der allgemeinen Christianisierung auch damals schon so etwas wie eine "Verwaltungsreform" durchgeführt. Es wurden neue Grafschaften, Bistümer und Marken gebildet. So auch das Bistum Minden, wie übrigens in dieser Zeit auch die Bistümer Osnabrück, Münster und Paderborn gegründet worden sind. Sinn und Zweck dieser Reformen waren, daß Karl der Große seine Macht und sein Herrschaftsgebiet sichern, sowie die Christianisierung in seinen eroberten sächsischen Bereichen weiter festigen wollte.

Es gab aber noch weitere Gründe. Kaiser Karl I. - so hieß Karl der Große offiziell - dachte auch an Reformen und bessere Verfahrensweisen in den Bereichen Ackerbau und Viehzucht sowie auf anderen wirtschaftlichen Gebieten. Hier wird angenommen, daß in diesen Zeiten großer Reformen, die sich bis in die nachfolgenden Jahrhunderte mit hineingezogen haben, auch die Ortschaft Varl - wie auch manch anderer Ort im Rahdener Raum - entstanden ist.

Im Laufe der Zeit hat es immer wieder neue Gebietsreformen gegeben. Kleinere Ortschaften wurden zusammengelegt, größere Ortschaften wurden später wieder geteilt. So eine Teilung geb es z. B. 1849, als Sielhorst von Varl abgetrennt und eine selbständige politische Gemeinde wurde. Nach den Angaben des Westfälischen Urkundenbuches im Staatsarchiv Münster ist Sielhorst übrigens älter als Varl. Sielhorst erscheint im Urkundenbuch unter dem Namen "Silchurst" bereits im Jahr 1198, also 72 Jahre eher als die ursprüngliche politische Gemeinde Varl.

Weitere bedeutsame Angaben aus der mittelalterlichen Zeit sind - zumindest auf Varl bezogen - nicht vorhanden oder erwähnenswert.

Halt - ein geschichtliches Datum wäre noch wichtig: Der 09. April 1470!

Unter diesem Datum kam das Gut Haßlage an das Stift Levern. Dafür bekam Varl, besser gesagt das Haus Rahden (Rahdener Burg) und somit der Bischof von Minden, das Vorwerker Feld zurück, das vorher eine lange Zeit im Eigentum des Leveraner Stiftes gestanden hatte.

Interessant ist vielleicht noch, wann in Varl wo wieviele Häuser gestanden haben. Auch hierüber liegen Aufzeichnungen vor:

In der Rahdener Kirchenmatrikel steht geschrieben, dass zur Bauzeit der Rahdener St.-Johannis-Kirche so um 1353 in Varl einschließlich Sielhorst 37 Hofstellen vorhanden gewesen sind.

Im Urbar (alte Bezeichnung von Grundbuch) von 1682 waren es dann schon 115 Anwesen, die damals allerdings verschiedenen Grundherren dienen mussten: dem Haus Rahden, den Gütern Ellerburg und Benkhausen und dem Stift Levern.

Die sog. "Franzosenzeit" Anfang des 19. Jahrhunderts hat dann aber die "Bauernbefreiung" eingeleitet, die von den einzelnen Bauern allerdings mit großen finanziellen Opfern erkauft werden musste.

Zusammenfassung:

Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass wir hier im Rahdener Land im sogenannten "Wandel der Zeiten" eine doch recht wechselvolle Geschichte gehabt haben. Interessant ist dabei die Betrachtung, was für Landsleute wir in all diesen Jahrhunderten so gewesen sind:

Ortsheimatpfleger Reinhard Stevener
im März 2001